1. Berlin: Redebeitrag von Elisabeth Voss „Erinnerung an die Pazifistin Bertha von Suttner (1843-1914) anlässlich des Veteranentags in Berlin“
2. Matthias Jochheim (MJ) mit einem Beitrag über den kriegerischen Hessentag. Bei diesem Hessentag wird dafür geworben, junge Menschen zum Eintritt ins Militär zu gewinnen.
Die Rede von E. Voss (EV) erschien in Pressenza am 16. Juni: www.pressenza.com/de/2025/06/die-waffen-nieder-2/
Der Bundestag hatte schon 2024 beschlossen, dass der 15. Juni ein „nationaler Veteranentag“ sein soll, an dem aktive und ehemalige Soldat*innen geehrt werden. 2025 wurde er mit bundesweit 150 Veranstaltungen zum ersten Mal begangen. Die zentrale Festveranstaltung fand in Berlin am Reichstagsgebäude statt. Schon eine Woche vorher, am 8. Juni, war ein „Run 4 Veterans“ rund um den Schlachtensee geplant – der aufgrund angekündigter Proteste abgesagt wurde.
Am 15. Juni gab es eine Reihe von Protestveranstaltungen. Den folgenden Beitrag habe ich auf der Kundgebung des „Provisorischen anarchistischen Antikriegsrats“ gehalten.
Lesenswerte Romane
„Die Waffen nieder!“ ist der Titel eines 1889 erschienenen Antikriegs-Romans von Bertha von Suttner, der in viele Sprachen übersetzt wurde. Darin beschreibt sie, wie die Gräfin Martha von Althaus, die in einer militarisierten Umgebung aufwächst, zur Pazifistin wird. Anfangs bewundert sie Uniformen und militärische Ehren. Dann wird die Romanfigur mit 19 Jahren zur Witwe, nachdem ihr Mann freiwillig in den Krieg gezogen ist. Ihren Schmerz erträgt sie mit einem leisen „Stolzgefühl – ein Bewusstsein, dass es sozusagen eine militärische Würde vorstellt, einen geliebten Mann auf dem Felde der Ehre verloren zu haben“. Jedoch ändert sich Marthas Haltung nach und nach, bis sie schließlich Gewalt und Militär verabscheut. Ihre pazifistischen Überlegungen teilt sie mit ihrem zweiten Mann, einem Offizier, der als vermeintlicher Spion standrechtlich erschossen wird, nachdem er aus der Armee ausgeschieden ist. Martha engagiert sich friedenspolitisch, ebenso wie die Autorin.
In einem zweiten Band „Martha’s Kinder“ schildert Bertha von Suttner die Lebenswege von Marthas Sohn aus erster Ehe, Rudolf, und ihrer Tochter Sylvia, deren hingerichteten Vater Martha bis an ihr Lebensende betrauert. Das friedenspolitische Engagement von Mutter und Sohn zieht sich wie ein roter Faden durch die Erzählung. Geschlechterstereotype und heteronormative Klischees prägen beide Bände. Durch ihre Erzählweise kratzt Bertha von Suttner jedoch auch immer wieder – wenngleich meist recht zurückhaltend – an solchen vermeintlichen Selbstverständlichkeiten.
Die Autorin
Bertha von Suttner wird 1843 in Prag geboren, lebt später überwiegend in Österreich, einige Jahre auch im Kaukasus, und bereist viele europäische Länder, sowie zweimal die USA. 1891 gründet sie die „Österreichische Gesellschaft der Friedensfreunde“, deren Präsidentin sie bis zu ihrem Lebensende bleibt. Gemeinsam mit Alfred Hermann Fried gibt sie ab 1892 sieben Jahre lang die Monatszeitschrift „Die Waffen nieder“ heraus. Sie erscheint in Berlin, wo beide die „Deutsche Friedensgesellschaft“ gründen, die als DFG-VK bis heute besteht.
Als einzige Frau nimmt Bertha von Suttner an der ersten Haager Friedenskonferenz 1899 teil, auf der die Bildung des Internationalen Schiedsgerichtshofes „Haager Tribunal“ beschlossen wird. Jedoch erfüllt sich die Hoffnung, dass Staaten dort ihre Konflikte lösen, statt Kriege zu führen, nicht. Unermüdlich setzt sich Bertha von Suttner für den Frieden ein, schreibt Bücher und Artikel, besucht weitere Konferenzen und Politiker in verschiedenen Ländern – unter anderem auch US-Präsident Theodore Roosevelt (1858-1919) – und erhält 1905 den Friedensnobelpreis. Sie stirbt 1914, zehn Tage vor Beginn des 1. Weltkriegs.
Das Grauen
Die Gräuel des Krieges beschreibt sie eindrücklich. Im Roman „Die Waffen nieder!“ begleitet Martha Ärzte und Sanitäterinnen, und wird mit dem konfrontiert, was Krieg mit den Körpern der Soldaten anrichten kann (Triggerwarnung).
„Schwerverwundete, Operierte und Amputierte […], teils sterbend, teils schon gestorben, Leichen zwischen Verscheidenden und solchen, welche ihr Ende ersehnten. […] sich krümmend unter den Schmerzen ihrer Wunden, und um den Tod gleichwie um eine Wohlthat flehend. […] An den noch immer offenen Wunden saugten Mücken, mit denen sie bedeckt waren; im Fieber funkelnde Blicke irrten forschend umher und suchten nach irgend einer Hilfe – nach Labung, nach Wasser, nach Brot! Mantel, Hemd, Fleisch und Blut bildeten bei den meisten eine widerliche Mischung. Würmer begannen sich darin zu erzeugen und einzufressen. Ein abscheulicher Geruch erfüllte jeglichen Raum. Alle diese Soldaten lagen auf der nackten Erde, nur Wenige fanden etwas Stroh, auf welches sie ihre elenden, verstümmelten Körper betten konnten. Zerschossene Glieder bildeten nur noch faulende Fleischstücke, Gesichter nur noch eine mit Schmutz bedeckte, zerronnene Blutmasse, in welcher eine unförmliche schwarze Öffnung den Mund vorstellte, welchem gräßliche Töne entquollen. Die fortschreitende Verwesung trennte ganze abgestorbene Teile von diesen elenden Körpern. […] eine krabbelnde, wimmernde Masse halbverfaulter Menschenreste.“
Warum?
Nachdem Martha dies teils selbst gesehen, teils sich hat schildern lassen, fragt sie, wie es sein kann, „daß Menschen einander in solche Lage bringen, – daß Menschen, die so etwas gesehen, nicht kniend hinsinken und den leidenschaftlichen Eid schwören, gegen den Krieg zu kriegen: daß sie […] nicht fortan ihr ganzes Wirken, in Wort und Schrift, in Denken, Lehren und Handeln dem einen Ziele widmen: Die Waffen nieder!“
Und sie fragt: Warum „Rache und immer wieder Rache? […] wann nimmt das ein Ende? Wie kann Gerechtigkeit erlangt, wann altes Unrecht gesühnt werden, wenn als Sühnemittel immer wieder neues Unrecht angewendet wird? Keinem vernünftigen Menschen wird es einfallen, Tintenflecken mit Tinte, Ölflecken mit Öl wegputzen zu wollen – nur Blut: das soll immer wieder mit Blut ausgewaschen werden!“
Patriarchale Anmaßung
Bertha von Suttners „Die Waffen nieder!“ ist bis heute aktuell. Die Waffen sind vielfältiger und immer zerstörerischer geworden. Sie folgen der Effizienzlogik, möglichst viele Menschenleben auf einen Schlag zu vernichten. Die Digitalisierung – die von Anfang an militärisch motiviert war – perfektioniert als vermeintlich intelligente Technologie das Morden, ebenso wie die Entwicklung von Biowaffen. Die patriarchale Anmaßung, über Leben und Tod zu entscheiden, zeigt sich ebenso in Gentechnik und Reproduktionsmedizin, im Alltag in Femiziden, Amokläufen und anderen Gewalttaten.
„Die Waffen nieder!“, das heißt: Gegen jeden Krieg, gegen jedes Militär, und gegen jede Form patriarchaler Herrschaft und Gewalt!
Anmerkungen
Bei dem oben geschilderten Grauenhaften, das Soldat*innen an der Front droht, darf das Leiden ziviler Opfer nie vergessen werden. Das ist jedoch nicht das Thema in Bertha von Suttners Roman.
Aus aktuellem Anlass möchte ich hier aber darauf hinweisen, dass es nicht weit vom Veteranenfest und den Protesten seit dem 13. Juni ein Gaza-Protestcamp „Besetzung gegen Besatzung“ gibt, auf der Wiese an der Heinrich-von-Gagern-Straße vor dem Reichstag.
Hinweisen möchte ich auch auf die Recherchen der DFG-VK-Jugend zum Veteranentag. In mehreren Städten haben sie mit Adbusting-Plakaten kenntlich gemacht, dass „durch die Bundeswehr nach wie vor ein brauner Geist weht“.
Bertha von Suttners Romane „Die Waffen nieder!“ und Martha’s Kinder! stehen mehrfach online, unter anderem bei zeno.org
Infos zur Berliner Kundgebung am 15. Juni: https://antikrieg.noblogs.org/post/2025/06/15/angriff-auf-versammlungsfreiheit-kundgebungsverbot-veteranentag-zum-desaster-machen-5-pressemitteilung/
2. Matthias Jochheim über den kriegerischen Hessentag
Bei diesem Hessentag wird dafür geworben, junge Menschen zum Eintritt ins Militär zu gewinnen. Das hat mich an eine historische Vorgeschichte erinnert: während des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges im 18. Jahrhundert nahmen auf Seiten der britischen Kolonial-Armee Deutsche als vermietete reguläre Soldaten aktiv an den Kampfhandlungen teil. Diese wurden von den Amerikanern allgemein „Hessen“ genannt, da die Landgrafschaft von Hessen-Kassel und Hessen-Hanau die meisten Soldaten entsandten, über 19.000 , von denen über 6000 nicht zurückkehrten.
Was hat damals junge Männer dazu gebracht, ihr Leben auf einem anderen Kontinent für die Interessen der britischen Kolonialmacht aufs Spiel zu setzen? Es war vor allem die wirtschaftliche Not, die sie dazu veranlasste, so wie auch die Not zur Auswanderung vieler Menschen nach Amerika führte.
Und was führt heute zu dem enormen Anstieg der Kriege auf globaler Ebene? Die massive Aufrüstung etwa in Deutschland hat in einer Zeit der wirtschaftlichen Krise einen Boom der deutschen Rüstungsindustrie mit sich gebracht, die Aktien etwa von Rheinmetall klettern in Rekordhöhen, Waggonfabriken, ursprünglich für die Eisenbahn, werden in Panzerwerke für die Armee und für den Export umgewandelt, Beispiel Görlitz. Krieg ist ein gutes Geschäft für die entsprechenden Investoren, so z.B. auch für Blackrock, wo bekanntlich Herr Merz vor seiner Rückkehr in die Politik führende Positionen bekleidete.
Zur erstrebten „Kriegstüchtigkeit“ einer Gesellschaft passt der Abbau demokratischer Rechte und der Übergang zu autoritären und rassistischen Ideologien, passt die Pflege von Feindbildern, also politische Haltungen, wie wir sie von rechtsgerichteten Bewegungen nicht nur in Deutschland aktuell erleben.
Die deutsche Regierung ist die zweitgrößte Lieferantin von Waffen und Munition an die israelische Regierung, gegen die aktuell vor dem internationalen Gerichtshof in Den Haag ein Verfahren wegen des Verdachts auf Völkermord an den Menschen in Gaza geführt wird. Kritiker dieser deutsch-israelischen Zusammenarbeit werden immer wieder des Anti-Semitismus beschuldigt, ein Versuch, von deutscher Mit-Verantwortung für den Krieg im Nahen Osten abzulenken.
Wir leben in einer Zeit der menschengemachten Katastrophen, und müssen alle demokratischen und humanistischen Kräfte sammeln, um wieder auf einen besseren Weg zu kommen. Ein Beitrag dazu soll unsere heutige Demonstration für einen friedlichen Hessentag hier in Bad Vilbel sein.
Sammlung von Artikeln und Informationen zum Friedlichen Hessentag und zu den Aktionen gegen den Veteranentag:
- Berlin: Veteranentag? Wir feiern eure Kriege nicht! (noveteranentag.noblogs.org)
- Berlin: Veteranentag – Schikanen gegen Anti-Veteranentag-Bündnis | nd-aktuell.de
- Berlin: Ein Veteran berichtet in der Berliner Morgenpost: „Will mit diesem Tag nichts zu tun haben“ – Veteran klagt an
- Infos – Friedlicher Hessentag: https://www.friedlicher-hessentag.de/
- Bündnis Friedlicher Hessentag mit einer Pressemitteilung: PM 20250612Pressemitteilung – https://www.dfg-vk-hessen.de/fileadmin/Dokumente/Hessen/2025/Hessentag/PM_20250611.pdf