Quelle: https://www.friedenskooperative.de/antikriegstag2025/reden/peter-wahl-hamburg
Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,
Wir leben in dramatischen und extrem gefährlichen Zeiten. Seit dreieinhalb Jahren tobt in der Ukraine der Stellvertreterkrieg zwischen der nuklearen Supermacht Russland und dem Westen, der auch für uns ein explosives Eskalationsrisiko birgt.
Aus Gaza erreichen uns jeden Tag unerträgliche Bilder und Nachrichten.
Die UNO-Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes definiert in ihrem Artikel II den Begriff Völkermord. Und zwar als „Handlungen, die in der Absicht begangen werden, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören, so durch:
- a) Tötung von Mitgliedern der Gruppe;
- b) Verursachung von schwerem körperlichem oder seelischem Schaden an Mitgliedern der Gruppe;
- c) vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen“
Jedes dieser Kriterien trifft auf das Vorgehen Israels zu. Israel begeht in Gaza ganz eindeutig Völkermord. Das offen erklärte Ziel ist es, ein Großisrael from the river to the sea zu etablieren. Darin ist für die Palästinenser kein Platz. Wer die Kritik daran für Antisemitismus hält, hat günstigstenfalls nichts verstanden, oder aber betätigt sich als Handlanger einer Regierung, in der ein Minister sich selbst stolz als faschistisch bezeichnen darf.
Der nachsichtige Umgang der Bundesregierung mit Israel und die Blockade selbst von nur symbolischen Maßnahmen der EU gegen den Bruch des Völkerrechts und der Menschenrechte durch Israel entlarvt ihr auf hochmoralische Werte frisierte Haltung zum Ukrainekrieg als verlogenes Geschwurbel.
Liebe Freundinnen und Freunde,
Neben den spektakulären Großkonflikten herrschten oder herrschen noch an anderen Schauplätzen militärische Gewalt. So kam es im erst im vergangene Mai zwischen den beiden Atommächten Indien und Pakistan zu einem einwöchigen Krieg. Ebenso zwischen Thailand und Kambodscha im Juli.
Zwischen der Demokratischen Republik Kongo und Ruanda gab es seit 2022 eine blutigen Krieg, der im April immerhin zu einem Waffenstillstand geführt hat.
Auch im Sudan geht das Schlachten weiter.
Laut dem Osloer Friedensforschungsinstitut PRIO gab es 2024 so viele bewaffnete Konflikte wie seit 70 Jahren nicht mehr.
Die Welt sitzt auf einem Pulverfass – und das in einer Zeit in der Klima- und Umweltkatastrophen die Menschheit immer gefährlicher bedrängen.
Liebe Freundinnen und Freunde,
Immerhin ist beim Ukrainekrieg einiges in Bewegung geraten. Der Gipfel zwischen Trump und Putin in Kanada war ein Augenblick weltpolitischer Entspannung in diesen chaotischen Zeiten, auch wenn noch in der Schwebe ist, ob er tatsächlich zu einem Verhandlungskompromiss führt.
Aber bereits die Tatsache, dass nach über drei Jahren Funkstille zwischen den beiden größten Nuklearmächten ein Gipfeltreffen in zivilisierter Form stattfand, war ein Lichtblick.
Das ist auch für uns aus einem anderen Grund wichtig: nächstes Jahr sollen auf deutschem Boden US-Mittelstreckenraketen stationiert werden, die das strategische Gleichgewicht weiter untergraben würden. Im Augenblick herrscht Unklarheit, was daraus wird. Aber natürlich sind halbwegs normale Beziehungen zwischen Moskau und Washington Voraussetzung dafür, dass Verhandlungen dazu überhaupt zustande kommen können.
Auch wenn für Trump die UN-Charta ein Buch mit sieben Siegeln ist, das man getrost ignorieren darf, so entsprach Anchorage de facto der Forderung der UN-Charta, Krieg durch diplomatische Anstrengungen so schnell wie möglich zu beenden.
Deshalb ist das Ergebnis von Alaska aus friedenspolitischer Perspektive absolut zu begrüßen.
Dabei ist die Erwartung, einen so komplexen Konflikt mit einem einmaligen Meeting lösen zu können, naiv. Aber immerhin steht ein wie immer gearteter Kompromiss jetzt an der Spitze der Tagesordnung.
Das wurde möglich, weil auch Moskau sich bewegt hat, auch wenn die staatstragenden Medien von ARD bis ZDF und FAZ bis TAZ das unter den Teppich kehren. Tatsache ist: statt der Maximalforderung nach Entmilitarisierung der Ukraine, hat Putin anerkannt, dass auch die Ukraine Sicherheitsgarantien erhält. Auch von einer „Entnazifizierung“ der Ukraine, d.h. faktisch ein Regime-Change, ist nicht mehr die Rede.
Klar ist aber auch andererseits, dass aus einer Mitgliedschaft der Ukraine in der NATO nichts wird. Und das ist auch gut so.
Und natürlich, Kiew wird territoriale Zugeständnisse machen müssen. Denn wie beim FC St. Pauli gilt: entscheidend ist auf dem Platz. Im Krieg gilt – auch wenn unser antimilitarisches oder pazifistisches Herz dabei blutet: entscheidend sind die Kräfteverhältnisse an der Front.
Die etwas Intelligenteren im westlichen Führungspersonal haben das verstanden, auch wenn nur wenige, wie z.B. NATO-Generalsekretär Rutte, sich getraut haben, es auszusprechen.
Selbst Selenskyi gibt inzwischen zu, dass die Territorien unter russischer Kontrolle militärisch nicht zurückzuerobern sind. Auch ihm ist die Logik der militärischen Kräfteverhältnisse nicht entgangen. Hat er doch selbst seine Operation in das russische Gebiet Kursk damit gerechtfertigt, seine Verhandlungsposition zu stärken. Das ist gescheitert. Jetzt steht die Ukraine militärisch, aber auch ökonomisch und demographisch am Abgrund.
Liebe Freundinnen und Freunde,
Die europäischen Sponsoren des ukrainischen Stellvertreters sind von vom Kurswechsel der USA kalt erwischt worden. So hatte z.B. die Außenbeauftragte der EU, Kaja Kallas, eine fanatische Hasserin von allem Russischen, noch im Februar von einem militärischen Sieg Kiews geträumt. Diplomatie galt als Kapitulation.
Wenn man in dünkelhafter Selbstüberschätzung wie die Europäer ausschließlich auf Militär und Sanktionen setzt, darf man sich nicht wundern, wenn man jetzt nicht einmal am Katzentisch Platz sitzt. Dennoch kommt keiner in Berlin, Paris oder London auf die Idee, Trump nicht das Feld zu überlassen und selbst mal mit Putin zu telefonieren, um sich eigenständig für eine Verhandlungslösung einzusetzen.
Stattdessen basteln sie am nächsten Sanktionspaket, obwohl schon die vorherigen vor allem ein Schuss ins eigene Knie waren, und Putins Kriegführung nicht im geringsten beeinflusst haben. Aber so ist das, wenn man zu hoch auf die Palme klettert. Dann ist es schwer wieder runter zu kommen.
Vor allem aber konzentrieren sie sich jetzt auf das Thema Sicherheitsgarantien. Wenn sie schon den Krieg verlieren, wollen sie mit der sog. Koalition der Willigen noch so viel wie möglich von ihrem Kriegsziel, nämlich Russland maximal zu schwächen, retten. Dafür bereiten sie sich für die Zeit danach auf militärisch gestützten Revanchismus vor. Denn das, was sie als Sicherheitsgarantien bezeichnen, läuft auf nichts anderes als eine NATO light hinaus. Die Ukraine soll bis an die Zähne bewaffnet werden, und es sollen Truppen der europäischen NATO-Staaten auf ukrainischem Boden stationiert werden. „Den Streitkräften der Ukraine sollen keine Begrenzungen für die Zusammenarbeit mit dritten Ländern auferlegt werden.“ so die deutsche Christdemokratin Ursula von der Leyen.
Wie schon über all die letzten Jahre ignoriert man damit russische Sicherheitsinteressen. Die NATO-Osterweiterung war der entscheidende Punkt in der Eskalationsgeschichte seit den 1990er Jahren, und eine Mitgliedschaft Kiews das ausschlaggebende Motiv für den russischen Einmarsch. Wie realitätsblind muss man sein, jetzt zu glauben, dass man dem russischen Bären durch die Hintertür mit einer NATO light weiter auf den Pelz rücken könnte.
Wenn schon Truppen zur Friedenssicherung, dann unter UNO-Flagge in einer entmilitarisierten Zone, mit Soldaten aus Indien, China und anderen Ländern, die von beiden Seiten respektiert werden. Europäische NATO-Truppen dagegen sind die Garantie für die Verlängerung des Kriegs.
Sicherheit in Europa gibt es nur mit Russland, nicht gegen Russland.
Liebe Freundinnen und Freunde,
Wir brauchen auch in unserem ureigensten Interesse als Bürger dieses Landes eine stabiles und dauerhaftes Ende des Krieges n der Ukraine. Denn das, was sich hierzulande an Hochrüstung, an materieller und mentaler Militarisierung aller gesellschaftlichen Bereiche anbahnt, ist ein zivilisatorischer Rückfall, wie man ihn sich nach zwei Weltkriegen eigentlich nicht mehr hat vorstellen können. Die wollen eine andere Republik.
Der Historiker Fritz Fischer, der hier in Hamburg an der Uni lehrte, gab einem berühmten und heiß diskutierten Buch über die Ursachen des Ersten Weltkriegs den Titel: „Der Griff nach der Weltmacht.“ Nur zwei Jahrzehnte nach der deutschen Niederlage 1918 gab es eine zweiten Griff nach der Weltmacht – mit dem uns allen bekannten Ergebnis.
Offenbar wollen sie es jetzt zum dritten Mal probieren. Die Bundeswehr soll zur stärksten konventionellen Militärmaschine Europas werden. Dazu gab es bereits das 100 Milliarden-Programm der Ampel-Koalition. Dann kam das nach der Bundestagswahl aber noch vom alten Bundestag durchgepeitschte Billionenpaket, das von der Schuldenbremse ausgenommen wurde. Inzwischen ist das noch wahnhaftere 5-Prozent-Ziel dazugekommen. Seine Verwirklichung würde bedeuten, dass fast die Hälfte des Bundeshaushalts dafür verpulvert wird, Deutschland militärisch wieder great zu machen. Dazu soll auch ein Militärisch-Industrieller Komplex etabliert werden.
Und prompt verkündet der Kanzler jetzt landauf, landab: „Der Sozialstaat, wie wir ihn heute haben, ist mit dem, was wir volkswirtschaftlich leisten, nicht mehr finanzierbar.“
„Kanonen statt Butter!“ ist jetzt die Parole. Nachdem bereits mit der neoliberalen Wende in den Nullerjahren die Abrissbirne gegen den Sozialstaat zum Einsatz kam, und die Gewerkschaften geschwächt wurden, kommt jetzt die nächste, noch schlimmere Welle. Schon wird am Bürgergeld gesägt, an der Rente, an der Pflege.
Ja, alle gesellschaftlichen Bereiche sollen vom Ungeist des Militarismus durchseucht werden. Schon die Schüler sollen wieder zu Kriegstüchtigkeit erzogen werden, die Unis sollen wieder militärische Forschung und Entwicklung betreiben. Das Gesundheitswesen soll auf Kriegstauglichkeit getrimmt werden, und den Kommunen werden militärische Hilfs- und Spanndienste aufgebrummt, wie sie der sog. „Operationsplan Deutschland“ der Bundeswehr vorsieht. Bezeichnenderweise sind die Einzelheiten des Plans geheim. Hier wird eine andere Dimension militaristischer Verhältnisse sichtbar: die Erosion der Demokratie.
Aber, liebe Freundinnen und Freunde, warum machen die das alles? Natürlich gibt es da die Ahnungslosen wie Annalena, die Geschichtsvergessenen wie Lars Klingbeil, oder die russophoben Fanatiker, wie Kiesewetter, die endlich Rache für Stalingrad nehmen möchten.
Die eigentlichen Ursachen aber liegen tiefer: Die 500-jährige Epoche von Kolonialismus und Imperialismus, in denen Europa und zuletzt sein nordamerikanischer Ableger der Welt diktieren konnte, wo es lang geht, ist vorbei. Wir befinden uns im Übergang zu einer multipolaren Welt. Das ist die eigentliche Zeitenwende. Und da spielt Europa höchstens noch als einer unter vielen mit.
Das ist schwer zu verdauen für die politische Klasse. Sie fürchten den Abstieg vom hohen Ross eurozentristischer Überlegenheit. Eine multipolare Welt ist zwar kein Ponyhof, aber von einem internationalistischen Standpunkt aus sollten wir sie begrüßen und aktiv unterstützen.
Hinzu kommt jetzt auch noch das Pech für die politische Klasse, dass sie eine wirtschaftliche Strukturkrise am Hals hat, die der Draghi-Report als – „existentiell“ bezeichnet.
Strukturkrise bedeutet anders als eine Konjunkturkrise, wie sie im Kapitalismus gang und gäbe ist, dass es sich um einen tiefergehenden Bruch handelt, der nicht von heute auf morgen überwunden werden kann.
Die Nachfolgerin Draghis in der EZB, Christine Lagarde, stellt nüchtern fest: „Es ist eine Tatsache, dass Europa abgehängt ist.“
Und das ausgerechnet auch noch von Leuten, wie den Chinesen, denen ein Vorgänger von Friedrich Merz, Wilhelm II., mit der Stationierung deutscher Truppen in China zeigen wollte, was deutsche Kriegstüchtigkeit ist, auf dass, ich zitiere wörtlich, für die nächsten tausend Jahre „es niemals wieder ein Chinese wagt, einen Deutschen scheel anzusehen!“
Ganz besonders abgehängt ist das Modell des Exportweltmeisters Deutchland. Die Wirtschaft stagniert und ist Schlusslicht unter den G7. Made in China hat die Nase vorn, nicht nur bei Elektromobilität, Photovoltaik und Windkraft, sondern auch bei Chips und Künstlicher Intelligenz.
Darauf reagieren sie jetzt nicht mit Künstlicher Intelligenz, sondern natürlicher Dummheit. Militärische Größe soll vor geopolitischem Bedeutungsverlust bewahren. Da machen wir nicht mit!
Sie stehen mit dem Rücken zur Wand. Aber das macht sie auch besonders gefährlich.
Wir setzen dagegen: Sicherheit in der Welt des 21. Jahrhunderts kommt nicht aus Kanonenrohren, sondern nur durch Entspannung, friedliche Koexistenz und internationale Zusammenarbeit.
Dazu gehört auch der Abbau von Feindbildern. Hochrüstung und Militarisierung stehen und fallen mit der Dämonisierung Russlands.
Als Sofortmaßnahmen sind unabdingbar:
- Der Ukrainekrieg muss so schnell wie möglich politisch beendet werden.
- Merz sollte im Kreml anrufen und Gespräche über eine europäische Sicherheitsordnung beginnen.
- Der israelische Völkermord in Gaza muss gestoppt werden.
- Sämtliche Waffenexporte nach Israel, nicht nur die, die in Gaza eingesetzt werden, müssen gestoppt werden.
- Palästina muss als Staat anerkannt werden.
Es ist gut, dass sich im Land zunehmend Protest gegen Kriege, Militarisierung und Sozialabbau regt. In den kommenden Wochen gibt es eine ganze Serie von großen Demonstrationen. Ein Höhepunkt müssen die Demos in Berlin und Stuttgart am 3.Oktober werden. Ich hoffe wir sehen dort möglichst viele uns dort.
Nie wieder ist jetzt – wir wollen nie wieder kriegstüchtig sein.
Vielen Dank!
Peter Wahl und Autor und Publizist.